Zweite Türkenbelagerung
Durch den Sieg der Christen wurde die schrittweise Zurückdrängung des osmanischen Machtbereichs in Europa eingeleitet.
Die Wiener staunten nicht schlecht, als Kaiser Leopold I. am 7. Juli 1683 mit seinem Hof die Stadt verließ und nach Linz zog. Zwar hatte man von einem riesigen Türkenheer gehört, das von Osten her anrückte, aber dass die Gefahr so groß war, wollte niemand wirklich wahrhaben. Als einen Tag später der General Karl von Lothringen mit 4000 Mann Kavallerie in Wien einrückte und kurz darauf 6000 Infanteristen folgten, zeigte sich der Ernst der Lage. Schon am 5. Juli hatten die Türken das westungarische Raab erreicht. Stadtkommandant Graf Ernst Rüdiger von Starhemberg ergriff die Gegenmaßnahmen.
Nach der ersten Wiener Türkenbelagerung wurden im Jahre 1548 die Stadtmauern, die 1194 aus den Lösegeldern des Richard Löwenherz gebaut worden waren, dem aktuellen militärtechnischen Stand angepasst. Italienische Festungsbauer errichteten eine Festung, die damals den modernsten Standards entsprach. Zwölf mächtige, sich gegenseitig flankierende Bastionen umgaben den Stadtkern etwa im Bereich der heutigen Ringstraße. Belagerungsartillerie konnte diese Festung kaum gefährden. Die Verteidiger durften – anders als 1529 – auch auf Unterstützung von außen hoffen. Papst Innocenz XI. hatte nicht nur große Geldbeträge für den Türkenkrieg aufgebracht, sondern auch ein Bündnis zwischen dem Kaiser und König Jan Sobieski von Polen vermittelt. Gemeinsam mir den deutschen Reichsfürsten sollte dessen Heer die Belagerung Wiens sprengen.
Die Bevölkerung Niederösterreichs wurde von den Türken auf ihrem Vormarsch wieder aufs Schlimmste malträtiert. Ihre „Renner und Brenner“ genannten Horden plünderten, mordeten, ließen Häuser, Gehöfte und Kirchen in Flammen aufgehen, Weingärten wurden zerstört und verschleppten Tausende als Sklaven nach Anatolien. Alle Orte rings um Wien wie Hainburg, Schwechat, Pellendorf und Laa wurden niedergebrannt.
In diese Zeit fällt auch die komplette Zerstörung aller Vororte Wiens, die auf unserem Siedlungsgebiet lagen. Dem kulturellen Leben in Schönbrunn wurde ein jähes Ende gesetzt. Die Verwüstung von Schloss (damals noch die Katterburg) und Gärten waren später der Anlass für einen Neubau. Die Schlossanlage, wie wir sie heute kennen.
Am 14. Juli 1683 standen Kara Mustafas Truppen vor der Stadt und begannen am nächsten Tag mit der Beschießung. Schon am 16. Juli war Wien eingeschlossen – von Nußdorf im Norden über Dornbach im Westen bis Simmering im Süden. Bald merkte Kara Mustafa, dass seine meist kleinkalibrigen Kanonen wenig gegen die Stadtmauern ausrichten konnten. Der Wesir ließ daraufhin Gräben ziehen und Tunnel für Sprengminen graben. Die Türken wühlten sich durch die Erde bis zu der im Südwesten gelegenen Löwelbastei und der benachbarten Burgbastei. Hier explodierte am 2. August die erste Mine und riss Teile der Stadtmauer ein. Den Türken gelang es nun immer öfter, in die Befestigungsanlagen vor dem Schottentor einzudringen. Wilde Kämpfe entbrannten. Dabei wurde Stadtkommandant Starhemberg schwer am Kopf verwundet. Trotzdem führte er die Verteidigung persönlich weiter und ließ sich mit einer Sänfte zu den Kampfschauplätzen tragen.
Anfang September wurde die Lage kritisch. Unter den Verteidigern wütete eine Ruhrepidemie, Munition und Lebensmittel gingen zur Neige, mehrere Bastionen lagen in Trümmern. Starhemberg schickte einen dringenden Hilferuf an Karl von Lothringen, der mit seinen Truppen nördlich von Wien auf Verstärkung wartete. In der Nacht vom 7. auf den 8. September (die Belagerung dauerte nun schon 56 Tage) stiegen vom Kahlenberg Leuchtraketen auf. Sie signalisierten das Nahen des Entsatzheeres vom nördlichen Rand des Wienerwaldes. Hier hatte sich eine gewaltige Streitmacht versammelt. Fast 75.000 Mann standen bereit, davon 24.000 aus Polen unter König Jan Sobieski, 21.000 Mann unter Karl von Lothringen, 10.000 Bayern, 9000 Sachsen, 4000 Brandenburger. Kara Mustafa wurde vom Auftauchen dieser Armee in seinem Rücken völlig überrascht.
Der in polnischen Diensten stehende französische Ingenieur Dupont notierte in seinem Tagebuch folgendes:
Großer Gott! Welch ein Schauspiel bot sich unseren Augen vom Scheitel dieses Berges (heutiger Kahlen-, damals Schweinsberg) dar! Der ungeheure Raum von prächtigsten Zelten übersät, denn auch die Insel Leopoldstadt ist damit bedeckt. Das fürchterliche Gedonner aus den Feuerschlünden der feindlichen Batterien und die erwidernden Schüsse von den Stadtmauern erfüllen die Lüfte. Rauch und Flammen verhüllten die Stadt dergestalt, daß nur die Spitzen der Türme dazwischen sichtbar waren. Überdies aber breiteten sich 200.000 Osmanen in Schlachtordnung vor ihrem Lager in der Strecke von der Donau bis an die Gebirge aus, und weiter links von den Türken zogen ungezählte Tatarenhorden gegen die Höhen und Waldungen heran, ihrer Sitte gemäß in Haufen und Unordnung. All dies war in voller Bewegung und rückte gegen das christliche Heer vor.
Am 12. September 1683 kam es auf dem Gebiet des heutigen Wiener Stadtteils Währing zur Schlacht. Sie wurde vor allem durch die polnischen Panzerreiter entschieden, eine eigentlich antiquierte Waffengattung. Sie drängten die türkische Kavallerie zurück, so dass Karl von Lothringen sie bei Nußdorf in die Zange nehmen konnte. Gleichzeitig hämmerten sämtliche Wiener Kanonen aus den noch intakten Bastionen auf die Türken ein. Ihr Rückzug verwandelte sich schnell in eine wilde Flucht. Sie sammelten sich bei Raab und zogen nach Belgrad ab, wo Kara Mustafa am 25. Dezember auf Befehl des Sultans erdrosselt wurde.
Das Reich der Habsburger brauchte lange Zeit um sich von der Verwüstung Niederösterreichs und dem Menschenraub durch die Türken zu erholen. Dennoch wurde durch diesen Sieg der Christen die schrittweise Zurückdrängung des osmanischen Machtbereichs in Europa eingeleitet.