Erste Türkenbelagerung
Nach zweieinhalb Wochen Belagerung zeigten sich auf beiden Seiten Ermüdungserscheinungen.
Zu Beginn des 15. Jahrhunderts drangen osmanischen Streifscharen in der Krain und in Slowenien ein. Im Jahre 1425 tauchten die Türken zum ersten Mal im habsburgischen Grenzland auf. Von da an wurden die Osmanen als eine existenzbedrohende "Volksnot" empfunden. Viele Sagen und Legenden zeugen von der Angst, die die Bevölkerung damals hatte. Aber auch die Osmanen hatten Erzählungen, die sich um Wien, die "Stadt des Goldenen Apfels" rankten.
Nach der Schlacht bei Mohács im Jahre 1526 und der erfolgreichen Unterwerfung Ungarns rückte Sultan Süleyman im Spätsommer des Jahres 1529 gegen Wien vor. Der Stadt, die von Graf Niklas Salm verteidigt wurde, standen nur 8.000 Knechte und 1700 gepanzerte Reiter zur Verfügung; Kaiser Ferdinand I hielt sich während der Belagerungszeit in Innsbruck auf. Wien hatte zur Verteidigung lediglich eine aus dem 13. Jahrhundert stammende 4,5 km lange Ringmauer, die in einem erneuerungsbedürftigen Zustand war.
Sultan Süleyman hatte ein 100.000 Mann starkes Heer. Er konnte keine schwere Belagerungsartillerie mitführen, weil andauerndes Schlechtwetter den Transport unmöglich machte. Schon Wochen bevor die Hauptstreitmacht eintraf, verwüsteten die leichte Reiterei (ca. 20.000 Mann), Akinci, die Vororte Wiens.
Die wilden Akinci
Ein Akinci war ein Angehöriger irregulärer − also zumeist unbesoldeter und auf Raub und Sklavenhandel angewiesener − Reitertruppen der Osmanen.
In Friedenszeiten hielten sie Schafe und Ochsen auf Staatsbesitz und bestellten ihre Äcker mit Sklaven, ohne Steuern bezahlen zu müssen. Die Zahl der Akinci schwankte sehr. Für diese Zeit werden sie auf 12.000 geschätzt, wozu in Feldzugszeiten eine große Zahl von Freiwilligen kam.
Akinci stellten die wichtigsten der leichten Kavallerieeinheiten dar, die im Rahmen der Provinzialtruppen neben der schweren Reiterei zur Verfügung standen. Sie gerieten vor allem wegen ihrer von 1471 bis 1483 nahezu alljährlichen Streifzüge durch österreichische und von Österreich kontrollierte oder beanspruchte Gebiete als „Renner und Brenner“ ins europäische Bewusstsein. Die Akinci waren in der Regel in den europäischen Grenzgebieten stationiert und unternahmen, schon während die regulären Truppen ihre Lager bezogen, Streifzüge, um die Bevölkerung zu verunsichern, ihre Besitztümer als Vorräte zu brandschatzen und sie selbst zu töten oder als Sklaven gefangen zu nehmen. Sie schnitten dem Gegner den Weg ab und sollten durch ihre Einfälle auch die Mobilität und Kampfbereitschaft des gegnerischen Heeres prüfen, erfüllten also taktische Kundschaftertätigkeiten. Meist entkamen die türkischen Reiter, noch bevor geeignete Gegenmaßnahmen getroffen werden konnten.
Die strategische Unberechenbarkeit und Schläue sowie die im Westen bekannte Grausamkeit der Akinci führten dazu, dass das Drohen mit ihrem Einfall zur wirkungsvollen diplomatischen Strategie werden konnte.
Stand in einem Jahr kein europäischer Kriegszug der regulären Armeen bevor, schwärmten die Akinci schon im Frühjahr unter roten, schwarzen und weißen Fahnen, sich in kleine Scharen auflösend, auf eigene Faust aus, da sie meist weder Sold noch Pfründe erhielten und ihr Lebensunterhalt überwiegend von den jährlichen Räubereien abhing. Als çete (Freikorps, Räuberbande) mit unter 100 Mann oder haramili (Räuber) mit über 100 Mann zogen sie mitunter sogar mehrmals im Jahr auf Beutezug. Ihren Ruf als undisziplinierte Truppen unterstrichen die wiederholten Schäden, die sie auch auf osmanischem Gebiet anrichteten.
Im 15. und 16. Jahrhundert, noch bevor die Tataren zu Hauptlieferanten wurden, versorgten die Akinci den osmanischen Markt mit Sklaven aus den Frontgebieten des Balkans und Mitteleuropas. Die erbeuteten Menschen erzielten auf den vom osmanischen Staat kontrollierten Sklavenmärkten gute Preise. Einen besonders hohen Verdienst versprachen Knaben von zehn bis fünfzehn Jahren (Knabenlese), auf die der Sultan im Rahmen der Knabenlese zwar zu einem Fünftel kostenlosen Anspruch hatte, aber für die restlichen vier Fünftel gut bezahlte. Daher billigten ihm die Akinci eine Art Vorkaufsrecht zu.
Nicht immer waren die Beutezüge der Akinci erfolgreich. Als Märtyrer des Glaubens fielen oftmals an einem Tag Tausende von ihnen im Kampf mit den Christen.
… Auf dem Weg nach Wien schrieb Sultan Süleymans in sein Feldzugstagebuch: „Den Kommmandanten der Akinci wurde die Erlaubnis zum Streifen gegeben.“ Was das für unseren Bezirk bedeutete ist unvorstellbar. Wer nicht rechtzeitig hinter die Mauern des fernen Wiens oder in das dichte Unterholz des Wienerwalds flüchten konnte, wurde ermordet, verschleppt, oder kam in den Flammen um. Das befestigte Ober St. Veit und Hacking boten gegen diese Übermacht keinen Schutz. Alles wurde zerstört, geplündert und angezündet.
Das Heer ist da!
Am 25. September traf der Großwesir Ibrahim Pasa mit dem Gros der Streitmacht vor Wien ein. Der Sultan bezog einen Tag später seine prächtige Zeltburg auf dem Gebiet des heutigen Neugebäudes in Kaiserebersdorf. Die gefürchteten Janitscharen hatten ihr Lager auf der Wieden und auf dem Laaerberg war der Serasker Ibrahim Paê a mit der Atrillerie stationiert. Bei Hietzing und St.Veit ließ sich der gefürchtete Akinci Führer Mihaloglu Pasa nieder. Der Sultan ließ sein Belagerungsheer bogenartig um die Stadt herum aufmarschieren, wobei der rechte Belagerungsflügel massiver war als der linke. Das Hauptangriffsziel der Osmanen war das Kärntnertor, wo sich Janitscharen postierten.
Die Angst unter der eingekesselten Stadtbevölkerung war groß und 5000 Flüchtlinge wurden von umherstreifenden Akinci niedergemetzelt.
Die Osmanen hatten eine 600 Schiffe umfassende Flotte auf der Donau stationiert, die für die Versorgung mit Lebensmitteln und Munition zuständig war.
Da die kleinen und mittleren Kaliber der osmanischen Artillerie die Stadtmauern nicht sturmreif schießen konnten und das Erklettern der Verteidigungsmauern mittels Leitern keinen Erfolg brachte, wurde ab dem 1.Oktober die Taktik des Minenkrieges angewandt.
Die Wiener Bevölkerung lauschte ängstlich, ob Geräusche aus unterirdischen Minenstollen zu vernehmen waren. Einige Wiener Lokalsagen erzählen von diesen Ereignissen.
Nach zweieinhalb Wochen Belagerungszustand zeigten sich auf beiden Seiten Ermüdungserscheinungen. Die Wiener mußten ständig auf der Hut sein, nicht einem Überraschungsangiff der Osmanen zu erliegen und die Türken hatten Probleme mit der Nahrungsmittelversorgung, mit dem kalt-feuchten Herbstwetter, den schlechten hygienischen Verhältnissen und der daraus resultierenden mangelhaften Moral ihrer Soldaten. Den jeweiligen Truppenkörpern wurden große Belohnungen zugesagt um sie bei Kampfeslaune zu halten.
Der Sultan setzte den Truppenabzug für den 16. Oktober an, doch sollte noch ein Sturmangriff durchgeführt werden. Die durch Minen geschlagene 83m breite Bresche wurde von den Wienern tapfer verteidigt und der Janitscharenangriff blieb erfolglos.
Am 18. Oktober verließ die türkische Nachhut Wien und somit war die unmittelbare Gefahr für die Stadt bis zum Jahre 1683 gebannt. Am selben Tag begann es zu schneien.